Als Reporter für WDR und BBC Turkish Service war ich von April 1994 bis Oktober 1995 beim Solingen-Prozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf dabei. Was ich dort erlebte, prägt mich bis heute.
Zwei Neonazis warfen Molotowcocktails in Häuser türkischer Familien. Bahide Arslan (51), ihre Enkelin Yeliz (10) und ihre Nichte Ayse (14) starben. Es waren die ersten Todesopfer rassistischer Gewalt nach der Wiedervereinigung.
Nur sechs Monate später: Vier junge Männer zündeten das Haus der Familie Genç an. Fünf Mädchen und Frauen starben: Gürsün İnce (27), Hatice Genç (18), Gülistan Öztürk (12), Hülya Genç (9) und Saime Genç (4).
Die Asyldebatte beherrschte die Schlagzeilen. CDU-Innenminister Rudolf Seiters sprach vom 'Missbrauch des Asylrechts'. Am 26. Mai 1993 - drei Tage vor Solingen - wurde das Grundrecht auf Asyl massiv eingeschränkt.
Ich saß Tag für Tag im Gerichtssaal. Die Täter zeigten keine Reue. Ihre Verteidiger versuchten, die Tat zu relativieren. Aber die Beweise waren erdrückend. Die Urteile: 10 bis 15 Jahre Haft.
Am beeindruckendsten war Mevlüde Genç, die Großmutter. Sie hatte zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte verloren. Doch schon am Tag nach dem Anschlag rief sie zur Versöhnung auf. 'Hass bringt nur neuen Hass', sagte sie.
Bundeskanzler Helmut Kohl kam nicht zur Trauerfeier. Er wolle keinen 'Beileidstourismus' betreiben, ließ er mitteilen. Diese Kälte verletzte viele Deutschtürken zutiefst.
Aber es gab auch Hoffnung: Millionen Deutsche gingen auf die Straße. Lichterketten durchzogen das Land. 'Die Anständigen', wie sie später genannt wurden, zeigten Gesicht gegen Rassismus.
30 Jahre später ist der Rassismus nicht verschwunden. Halle, Hanau, und wieder Solingen 2024. Die 'Baseballschlägerjahre' sind vorbei, aber der Hass hat neue Formen gefunden. In sozialen Medien, in Parlamenten, auf der Straße.
Als Journalist habe ich gelernt: Wir müssen immer wieder erzählen, was geschah. Damit es nicht vergessen wird. Damit es sich nicht wiederholt.